Wir leben in turbulenten Zeiten. Der Wunsch, dass alles wieder wird, „wie vorher“, ist überall zu spüren.
Keine gute Idee. Denn: das klappt nicht.
Man kommt nicht vorwärts, indem man zurück geht.
Kein Weg zurück
My heart becomes my own
Gonna tell you why you’re a fool
To try to cross a burning bridge
It’s a long hard fall from the top of the ridgeYou can call out my name but I won’t return
I’m a fugitive of love and this heart’s been burned
Burnin‘ bridges behind me
You can follow me down but it’s plain to see
I’m a victim of the burn and it’s third degree
Setting bridges on fire
Fortschritt meint nicht umsonst: fort-schreiten. Vorwärts-Gehen. Wer zu etwas zurück will, wählt das Gegenteil: Rück-Schritt. Und auch wer nun schlau sein will und in sich radikal ändernden Zeiten einfach stehen bleibt, einen Zustand konservieren will, wählt unbewusst ebenfalls den Rückschritt. Denn die Zeit, das Leben, die Welt entwickelt sich unterdessen ungebremst weiter, und schiebt einen in dieser Erstarrung unbemerkt ins Alte zurück. Man verliert den Kontakt, kommt nicht mehr mit, fällt aus der Zeit.
Man kann eine Vergangenheit, egal wie gut die war (oder vielleicht auch nur verzerrt positiv in unserer Erinnerung verweilt) nicht einfach wieder zurück holen – und glauben, mit den alten, damaligen Mustern, Wertvorstellungen, Lösungskonzepten usw. könnte man in einer komplett veränderten Realität zurecht kommen und diese als Richtschnur in neuen und als unsicher empfundenen Zeiten nutzen. Das kann nicht gelingen, egal wie hart man verdrängt und die Augen verschließt. No chance.
Daher: Es gibt keinen Weg zurück. Keinen Weg zurück ins gesicherte Leben entlang der uns einmal vertrauten Zusammenhänge, auch nicht ins stabile Klima, in die alte Artenvielfalt, zum Glück aber auch nicht in die Enge der Wert- und Moralvorstellungen des vergangenen Jahrhunderts. Egal wie tief die Sehnsucht in uns sitzen mag und egal wie erfolgreich diejenigen sind, die den reaktionären, faschistoiden Backlash in diese Zeiten versprechen – Es gibt kein Zurück.
This is a one-way trip. The ticket we’ve already bought means taking a ride that is going to land us on a different planet. We are not now capable of designing a future that works in continuity with our existing systems and practices. This is an option that no longer exists. (Alex Steffen)
Die Brücken in die Vergangenheit, die wir, weil wir es uns ja gerne einfach machen, gerne idealisieren möchten, sind zerstört. Wer dennoch versucht, irgendwie über deren Trümmer zurück in eine so glorifizierte Vergangenheit zu klettern, der ist auf dem Weg in ein zerstörtes, leeres Land, der überquert einen Totenfluß. Und dort hinten auf der anderen Seite wartet nicht das vermeintliche Paradies, dort lauert Tod und Verwesung.
Styx – Der Totenfluss
Meine Generation verbindet mit dem Namen Styx wohl zunächst eine vor allem in den 80ern erfolgreiche amerikanische Rock-Band. („Domo arigato, Mr. Roboto“ – remenber?). Der Name stammt aus der griechischen Mythologie: Styx ist einer der Flüsse der Unterwelt, er markiert die Grenze zwischen der Welt der Lebenden und der Welt der Toten. Charon, der Fährmann, bringt die Seelen der Toten über diese Grenze hinüber in das Reich des Hades, der Totenwelt.
Der schnelle Lackmus-Test, ob sich heute jemand zu Charon ins Boot setzt und sich ins Totenreich zurück segeln lässt, sind zwei Wörter: „wieder“ und „weiter“. Weiter am Verbrenner festhalten (wenn die ganze Welt das übrigens nicht mehr tut), wieder in die Atomkraft einsteigen (was die dümmste Idee ever ist, um aktuelle Energiethemen zu bearbeiteten) usw. Oder das „again“ im MAGA-Slogan: Wohin sich dieses „again“ seit Jahren materialisiert, kann man doch tragisch beobachten: Eine Gesellschaft implodiert – da muss man die Toten und den Totenfluss schon gar nicht mehr metaphorisch verwenden.
Sehnsucht nach früher oder Hoffnung auf morgen. Fortschritt oder Regression. Zurück oder vorwärts. Das sind die Achsen, das sind die beiden Ufer entlang des Totenflusses. Nach vorne in die immer noch zu gestaltende Zukunft, oder zurück über den Totenfluss in ein Reich, das vor Verwesung stinkt.
Leben, Lebendigkeit, Potenzial finden wir nur in dem Weg nach vorne. Dieser Weg ist ein Weg ins Unbekannte, ein Weg ins neue Denken, ins Ausprobieren, Erforschen. Für ihn fehlt uns eine feste Landkarte, wir waren noch nie dort – das Gebiet ist erst noch zu erschließen.
Aber wenn wir (wieder) ins Gute kommen wollen, besser: dahin, wo wir Dinge (wieder) ins Gute hinein gestalten können, dann geht das nur, indem wir den Mut haben, in das dürre, unbekannte, uns Angst machende Land vor uns zu gehen. Es zu erkunden und es urbar zu machen. Dort- vor uns – eine gute Welt aufzubauen. Das schillernde Bild, das hinter uns, jenseits der Totenflusses zu leuchten scheint, ist eine Fata Morgana.

Schau dich nicht um
Es kommen härtere Tage.
Die auf Widerruf gestundete Zeit
wird sichtbar am Horizont.
Bald mußt du den Schuh schnüren
und die Hunde zurückjagen in die Marschhöfe.
Denn die Eingeweide der Fische
sind kalt geworden im Wind.
Ärmlich brennt das Licht der Lupinen.
Dein Blick spurt im Nebel:
die auf Widerruf gestundete Zeit
wird sichtbar am Horizont.Sieh dich nicht um.
Schnür deinen Schuh.
Jag die Hunde zurück.
Wirf die Fische ins Meer.
Lösch die Lupinen!
Es kommen härtere Tage.(Ingeborg Bachmann: Die gestundete Zeit)
Es kommen härtere Tage, eine härtere Zeit: das weiß der Marathonläufer am Start vor den nächsten 42 km, das wissen die Eltern, wenn sie ihr Kind zur Welt bringen, das weiß die Gründerin, die sich nun für ihre Unternehmensidee aufreiben wird, und genau das so unbändig will, das weiß der Bergsteiger am Fuß des Berges, in dem er jetzt leiden und zugleich größtes Glück erleben wird.
Die Welt verändert sich – schnell und grundlegend. Wie oben beschreiben: in dieser neuen Welt müssen wir uns positionieren. Das ist nicht leicht, und nicht jeder will nach vorne. Die Folge sind Transformationskonflikte in fast allen Bereichen unserer Gegenwart: Die Progressiven gegen die Bewahrer, die auf die alten Verhältnisse Fixierten gegen die nach vorne Denkenden. Dazwischen macht sich „eine Mischung aus Ratlosigkeit, Egoismus, Durchstarten und Kleinkind“ breit, wie Maja Göpel es von einiger Zeit in einem Interview der TAZ etwas salopp formuliert hat. „Und es gibt die ‚Kein Bock‘-Fraktion: Ich will mir nicht sagen lassen, was ich zu tun habe und ich will auch nicht, dass es nun anders wird, als ich gewohnt bin.“
Schnür deinen Schuh. Darum geht es jetzt: es ist nötig, aufzubrechen. Aufbruch ist nötig, not-wendig, Perspektiven und neue Erfahrungen eröffnend. Es braucht kein Zurück-Wünschen, kein Verklären von Vergangenem – wozu soll das denn gut sein? „Aufbruch“ meint auch das Auf-Brechen von alten Mustern, und zuvorderst von alten Denkmustern. Der Schlüssel hierzu liegt in dem Wechsel der Perspektive – weg von dem Starren und Abgleichen mit Vergangenem, Toten, Erstarrten, der trügerischen Fata Morgana – und hin nach vorne, in die Gestaltung, ins Unbekannte, ins Neue, in das, was an Möglichkeiten auf uns wartet und zu uns will.
Daher: Sieh dich nicht um. Aufbruch gelingt, wo wir lernen, in Alternativen zu denken, andere Weg und andere Ausgänge ins Spiel zu bringen und für möglich zu halten – und dann darauf hin zu denken und zu arbeiten. Uns von Visionen und unserer Vorstellungskraft leiten zu lassen, daraus Energien zu ziehen und Hoffnung zu generieren.
Sieh dich nicht um.
So kann der Perspektivwechsel gelingen. Jeden Augenblick und jede Situation als offen für die Gestaltung zu verstehen. Jeden. Weil dieser immer das Moment der Entscheidung in sich trägt und nie in eine Richtung vorgezeichnet ist. Wenn so die „Schuhe geschnürt“ sind, ist nicht nur immer wieder ein Aufbrechen von Erstarrtem, ein Ausbruch aus festen Situationen möglich, sondern so kann auch der anstrengendste Weg mit Sinn und Hoffnung verbunden und mit der Vorstellung eines zumindest potenziell möglichen guten Endes verknüpft werden.
Diese Ebene gilt es immer wieder einzubringen und hochzuhalten. Denn: Es steht zu viel auf dem Spiel. Also los.
Nicht müde werden
Hilde Domin
sondern dem Wunder
leise
wie einem Vogel
die Hand hinhalten.