Die Wanne ist voll – Oder: „Out of the box“ ist so was von 2014

Eine (zornige) Glosse

Tag der offenen Tür in der Psychiatrie.

Stolz führt der Direktor einen sichtlich beeindruckten Besucher durch die Klinik. Am Ende des Rundgangs möchte der Gast wissen: „Sagen Sie, wie entscheiden Sie eigentlich, ob sich ein Patient hier in Behandlung geben sollte?“

„Nun“, antwortet der Arzt, „wir machen mit jedem Kandidaten unseren ,Badewannen-Test’. Wir füllen eine Badewanne randvoll mit Wasser und legen einen Löffel, ein Glas und einen Eimer daneben. Dann stellen wir die Aufgabe, die Wanne möglichst schnell zu leeren und lassen den Patienten entscheiden.“

„Aaah, ich verstehe!“ ,schmunzelt der Gast, „der gesunde Mensch würde natürlich den Eimer benutzen.“

„Nein, er würde einfach den Stöpsel ziehen. Wollen Sie ein Zimmer mit oder ohne Balkon?“


I – Euer Ernst ?

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Seit wie vielen Jahren sind Sie mit Ihrem Team eigentlich schon „out of the box“ unterwegs? Seit wann besuchen Sie Design-Thinking-Workshops und kleben die Wände Ihrer Konferenzräume mit bunten Zetteln voll? Wie viele Innovations-Seminare haben Sie schon mitgemacht, wie viele Business Canvases ausgefüllt? Visualisieren Sie schon?

Mal ehrlich: Wo sind denn bitte die Ergebnisse? Die Früchte der vielen Versuche, die eigene Begrenztheit endlich zu überwinden? Es müssten doch inzwischen alle perfekt aufgestellt sein, mehr als fit für die Zukunft. Sehe ich aber nicht. Irgendetwas scheint doch da nicht zu funktionieren.

Was hingegen gelungen ist: Wir haben inzwischen fast alles an den Rand des Kollaps geführt: unsere Unternehmen, ganze Branchen und, quasi nebenbei, auch noch unseren Planeten.

Das „change the world“ in Ihrem Mission Statement war doch sicher anders gemeint?

Da stellt sich doch die Frage: wie finden wir denn die passenden Lösungen für die immer größer werdenden Probleme, die wir uns selber geschaffen haben?

Die Antwort: Wir brauchen schlicht und einfach eine andere Haltung. Ohne neues Mindset gibt keine echte Veränderung.

„Out-of-the box“ ist kein „Thinking“, das man erlernen kann, sondern eine „Attitude“, eine Haltung, die man sich aneignen und dann leben muss.

Da sitzt der Hebel – doch das verstehen Viele nicht und daher ist es immer wieder so schwer zu vermitteln – und damit wird so viel echter Fortschritt verhindert.


II – „Viel zu schwer ..“

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Warum glauben wir immer noch, dass große Probleme komplexe Lösungen erfordern? Das stimmt nicht — egal wie oft wir das wiederholen. Scheitern wir wirklich, weil das Neue so kompliziert, weil Veränderung zu schwer ist? Das Gegenteil ist richtig: Möbel zuhause vom Kunden zusammenbauen zu lassen, Bücher nicht mehr zu drucken, bevor man sie verkauft, Autos gemeinsam zu nutzen statt zu kaufen, Musik und Filme nicht mehr erst auf Datenträger zu speichern, sondern direkt auf die Endgeräte zu spielen usw. — Das ist eigentlich gar nicht so kompliziert, oder? Man muss nur darauf kommen. Aber das geht nicht, solange man sich immer in den gleichen, alten Denkmustern bewegt.

Gesellschaftlich fliegt uns dieses Unvermögen, Dinge neu und anders zu denken, gerade um die Ohren. Hier ist es fast unmöglich, überhaupt nur die Forderung nach Veränderung in die Debatte einzubringen, ohne komplettes Unverständnis oder auch heftigsten Widerstand hervorzurufen. Und leider spielen hier die bekannten Platzhalter in ihren sterbenden Branchen und ihre Beschützer in den politischen Parteien eine besonders unrühmliche Rolle.

Dabei wäre es doch wirklich so einfach. Ein paar Beispiele — Probleme und Lösungen — und bleiben wir mal im Politischen:

  • Wohnraum wird zu teuer? Massiv in öffentlichen Wohnungsbau investieren. Wien macht das gerade vor, es geht also.
  • Soziale Ungleichheit sprengt unsere Demokratien? Steuern für die obersten Einkommen massiv erhöhen (Pikety lesen!), Schlupflöcher durch entsprechende Gesetze schließen (Amazon, Apple, etc.; Cum Ex), mit den freien Mitteln massiv in Bildung investieren. Dann: Bedingungsloses Grundeinkommen testen oder alternative Ideen ernsthaft diskutieren.
  • Wir zerstören unsere Erde durch ungebremstes Verbrennen fossiler Energieträger? Verbrennen fossiler Energieträger beenden (Ernsthaft!— as simple as that! Wie bei den Anonymen Alkoholikern: Don’t drink, if you drink, stop drinking.). Natürlich schrittweise — aber schnell, genauer: sehr schnell! Durch wirksame CO2-Abgabe, Ende aller Fossil-Subventionen, Beseitigung der Hemmnisse für die regenerativen Energieformen.

III – Macht endlich Platz

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Wir glauben immer noch, dass wir die besten Lösungen finden, indem wir — um im Bild zu bleiben — den Löffel ergonomischer formen, das Material unseres Glases bis ins Letzte optimieren, die Beschaffenheit des Eimers verändern. Aber wir kommen nicht auf die Idee, dass es auch noch anders ginge. Und dann lassen wir uns von den Skeptikern und Bedenkenträgern, den Dummen und Lauten dieser Welt, auch noch einreden, dass unsere neue Lösung in Wirklichkeit eben doch viel zu kompliziert umzusetzen sei, dass die Chinesen erst mal ihre Bäder in Ordnung bekommen sollten und dass der Wasser“markt“ mit seinem geheimnisvollen System aus Zu- und Abflüssen das schon von alleine regelt — relax and sit back.

Um zum Anfangsbild zurückzukehren: Wenn wir die volle Wanne als Analogie zur Situation unserer heutigen Welt sehen, dann ist das Bild an einer entscheidenden und dramatischen Stelle schon lange nicht mehr nicht mehr stimmig. Denn: Das Wasser läuft ja bereits über. Die Katastrophe ist längst da. Und wir schaufeln wie wild mit unseren Eimern und Löffeln und wischen den Boden trocken, um die Lage irgendwie beherrschbar zu halten.

Daher: Weg mit den alten Löffeln, Eimern, Gläsern. Wir müssen den Stöpsel ziehen – und zwar so schnell es geht. Aufwischen reicht nicht mehr.

Lassen wir doch endlich die Menschen nach vorne, die das verstanden haben.