Wie viel Klimaschutz darf ich von Freunden einfordern?
Gast-Beitrag Jasper Strunk
Zwei sehr gute Freundinnen waren zuletzt in Rom. Die eine war vor einem Monat noch in Kanada, die andere vor zwei Wochen in Tunesien. Nun sind sie zu einem viertägigen Wochenendtrip wieder in den Flieger gestiegen.
Flugreisen sind schlecht fürs Klima, das sollte inzwischen jeder wissen. Aber ich bin nicht nur einfach traurig über dieses Verhalten – ich bin zwischenmenschlich erzürnt. In Freundschaften ist dies ein äußerst unangenehmes Gefühl.
Daher die Frage: Was darf ich eigentlich von meinen Mitmenschen in Bezug auf klima- und umweltfreundliches Verhalten erwarten?
Ja, das ist schwer. Und?
Die Welt ist fossil, klimaschädliche Versuchungen sind stark, und selbst notwendige Güter – Wohnung, Wärme, Nahrung – werden meist in einer Weise bereitgestellt, wie sie dem Planeten schaden. Unschuld erreicht in diesem Sinne niemand.
Zudem ist der Mensch leicht manipulierbar und weist eine Vielzahl psychologischer Fehler auf. Beispiel: Wenn wir entgegen unserer Wertebasis handeln, erfinden wir lieber Rechtfertigungen und deuten die Realität um, bevor wir unser Verhalten ändern (genannt: kognitive Dissonanzreduktion). Oder: Wenn wir eine Sache oft sehen, bewerten wir sie besser (genannt: Mere-Exposure-Effekt) – ein wesentlicher Grund, warum Werbung wirkt. Und natürlich sind wir überaus soziale Wesen: Was andere denken und tun übernehmen wir nur allzu gerne und oft auch unbewusst. Wenn alle fliegen, fliegen auch wir.
Hinzu kommt bezüglich der Klimawirkung die erlebte Zersplitterung der Verantwortung. „Ob ich nun fliege oder nicht, das macht doch wirklich keinen Unterschied!“. Verlockend, aber Schwachsinn, denn demnach sollte auch niemand wählen gehen und Giftmüll im Fluss entsorgen wäre auch okay. „Warum sollte ich meine Pflichten erfüllen, wenn ich nur ein Splitter des großen Ganzen bin?“ – Weil das große Ganze nichts als die Summe dieser Splitter ist!
Dennoch, es ist für uns Menschen gleich doppelt schwer, klimafreundlich zu handeln: das fossile System umgibt uns fast vollständig, und unsere Psyche ist von Werk aus so eingerichtet, dass wir gerne mit dem Kollektiv schwimmen und ungerne unsere Gewohnheiten ändern. Drittens ist die Klimakrise ja nicht unmittelbar als Folge des eigenen klimaschädlichen Handelns erkennbar. Das klingt danach, dass wir nachsichtig sein sollten angesichts des individuellen Scheiterns vor der Klimakrise.
Die rote Linie
Aus den beiden erstgenannten Gründen sehe ich die Schuld der Einzelnen tatsächlich gemindert. So viele ökologisch schlechte Dinge tun wir unbewusst, und die mentale und soziale Leistung, aus all diesen Strukturen und Gewohnheiten auszubrechen und es anders, es gut zu machen erscheint schier unmenschlich zu meistern.
Es ist also okay, schwach zu sein. Der Mensch ist nicht perfekt, und wir können unseren Ansprüchen – dem was normativ und moralisch geboten ist – niemals ganz entsprechen. Aber diese Erkenntnis befreit uns nicht von der Pflicht, gerechtes Handeln zu versuchen. Am Ziel, das Klima und die Umwelt zu schützen, gibt es nichts zu rütteln. Es gibt einfach keine schlüssige Moral oder Gerechtigkeitsphilosophie, welche die Zerstörung der Umwelt und damit der natürlichen Lebensgrundlagen zulässt. Es ist also unsere moralische Pflicht, der Naturzerstörung zu widerstreben. Punkt.
Eine Frage des Anspruchs
Wie lässt sich nun die Schwäche, uns nur schwer klimafreundlich verhalten zu können, mit der moralischen Weisung vereinbaren, uns klimafreundlich verhalten zu müssen? Antwort: Indem wir es trotz fehlender Vollendung immer wieder und stetig versuchen. In der Moralphilosophie gilt ein Grundsatz: Sollen setzt Können voraus. Und auch wenn es schwer ist klimafreundlich zu handeln, möchte ja wohl niemand ernsthaft behaupten, dass wir nicht deutlich klimafreundlicher handeln können. Wenn es schwer ist, nicht beim leisesten Impuls von Fernweh in den Flieger zu springen, dann ist das eben schwer! Aber das ist ja keine Entschuldigung dafür, dem dann freimütig nachzugeben. Wir können doch nicht damit anfangen, dieses wirklich schwerwiegend klimaschädliche Verhalten als legitim umzudeuten, nur weil Zugfahren in die Sächsische Schweiz weniger Abenteuer verspricht als ein Flug in die Pyrenäen. Insbesondere dann, wenn der Flug nicht einmal einen nennenswerten Gegenwert hat. Fliegen für einen Wochenendtrip?! Puh…
Meine beiden Freundinnen leben übrigens im Rheinland, die tödliche Flutkatastrophe im Ahrtal passierte nur wenige Kilometer entfernt und man kennt eine ganze Handvoll an Leuten persönlich, die zu der Zeit in den betroffenen Gebieten waren und Bestürzendes erlebt haben. Über Eck kennt man vielleicht sogar einige der Todesopfer. Vernichtende Waldbrände am Mittelmeer und gefährliche Dürre in Deutschland – die Klimakrise ist keine abstrakte Bedrohung mehr, sie ist beängstigende Gegenwart. Es braucht schon eine beachtliche Mauer der Ignoranz, diese Angst zu isolieren und vom eigenen Leben loszulösen. Wir leben in einer Gesellschaft, die ein eigenes Wort erfunden hat für das Schuldgefühl zu Fliegen. Flugscham. Wer zu zweit in einem Monat auf zwei Interkontinentalflüge und gemeinsam auf einen Flug zum Wochenendtrip kommt, und davon freimütig auf Instagram Fotos teilt, der hat diese Flugscham nicht. Der hat die eigene Verantwortung abgelehnt.
Die Schwierigkeit, moralisch zu handeln kann entschuldigen, dass man klimafreundliches Verhalten nicht immer schafft.
Aber sie kann nicht entschuldigen, dass man es nicht einmal mehr versucht.
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