Keine „Kohle“ für die Kohle

Warum ausgerechnet die Finanzwelt das Ende der Kohle besiegelt

Ich wohne mitten im rheinischen Braunkohle-Revier. Man kann hier durchaus leben, “viel Schönes dabei”. Aber: In unmittelbarer Nachbarschaft stehen hier einige der schmutzigsten Kohle-Kraftwerke in ganz Europa. Die Anlagen in Neurath, Niederaußem und Weisweiler — alle gerade einmal einige Kilometer entfernt — belegen im Ranking der Kraftwerke mit dem höchsten CO2-Ausstoß die Plätze zwei, vier und fünf.

(aktualisiert 2020)

Nebenbei: Dort vorne sind sie in guter Gesellschaft: sechs der zehn schmutzigsten Kohlekraftwerke liegen im “Energiewende”-Land Deutschland.

Die weithin sichtbaren Kraftwerksblöcke prägen das Bild der Landschaft. Um an den Energieträger Kohle zu gelangen, muss man — leider auch im Wortsinn — tief ins Ökosystem eingreifen. In den Tagebauen ist die Erde kilometerweit aufgerissen und gleicht surrealen Mondlandschaften. Riesige Bagger fördern hier in auf Jahrzehnten angelegten Projekten die eingelagerte Braunkohle. Ein Produkt also, das lange Zeit die Energieversorgung in Deutschland sicherstellte. Aber auch ein Produkt, das heute kaum noch gebraucht und sehr bald obsolet sein wird.

Direkt neben unserem Dorf ist in den letzten Jahren der Umsiedlungsort für eine Gemeinde entstanden, die in den nächsten Jahren dem Tagebau weichen muss. Und ich möchte darauf wetten, dass die Bagger die alte Ortsgrenze gar nicht erst erreichen werden, da bis dahin die Braunkohle-Förderung für den Betreiber RWE nicht mehr rentabel sein wird.

Coal is dead

Um das zu verstehen, lohnt es sich, die heimatliche Szenerie erst einmal zu verlassen, den Zoom groß zu stellen und exemplarisch drei weitere Orte zu „bereisen“.

Erster Ort: Amerika. Dort steht in Arizona mit der „Navajo Generation Station“, das größte Kohlekraftwerk im Westen der USA. Der amerikanische Präsident versucht ja gerade vehement, in Energiefragen die alte, „heile“ Welt wiederherzustellen („I love coal“) und in diesem Bereich „Jobs, Jobs, Jobs“ zu schaffen. Klappt aber nicht. Nur wenige Tage, nachdem er sein Amt antrat, vermeldete der Eigentümer der Navajo Generation Station, dass das Kraftwerk nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben sei und man die Anlage bis Ende 2019 schließen werde — 25 (!) Jahre früher als geplant.

Zweiter Ort: Das andere Ende der Welt, Australien. Dort soll mit der „Carmichael Coal Mine“ eine der größten Kohle-Minen der Welt entstehen (Tagebau und Bergbau). 2,3 Milliarden Tonnen Kohle will der Betreiber, die indische Adani-Gruppe, in den nächsten 60 (!) Jahren dort fördern. Das Problem: Bisher will niemand dieses Vorhaben finanzieren. Sämtliche australischen Banken sind bereits abgesprungen, die großen chinesischen Banken, mit Abstand führend in der Finanzierung von Kohleprojekten, sagen gerade einer nach dem anderen ab. Das Statement der amerikanischen BlackRock Inc., des größten Vermögensverwalters der Welt, der bisher massiv in fossile Energie investierte, zu einer möglichen Finanzierung kann klarer kaum sein: „Cool ist dead…“. Niemand werde noch eine Wette über so einen langen Zeitraum auf Kohle abgeben.

Und schließlich, dritter Ort: Paris. Dieser Tage findet hier der „One world summit“ statt. Vor zwei Jahren legten sich hier beim Weltklimagipfel die Staaten der Welt auf eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf deutlich unter 2 Grad fest. Dennoch wurden in der Zwischenzeit weltweit rund 275 Milliarden Dollar in fossiler Enerergieprojekte investiert. Doch nun scheint so etwas wie ein Scheidepunkt erreicht: Gestern kündigte die Weltbank während der Konferenz in Paris an, ab 2019 keine Projekte zur Gewinnung von Öl und Erdgas mehr zu fördern. Andere folgen, quer durch alle Branchen: So erklärte beispielsweise der französische Axa-Konzern an, den Bau neuer Kohlekraftwerke nicht mehr zu versichern und der norwegische Pensionsfond Storebrand — der größte der Welt — , nicht mehr in fossile Anlagen zu investieren. Das scheint nun tatsächlich der Tipping Point zu sein, an dem sich eine Sache dreht und unumkehrbar wird. Bye, bye, coal.

Keine „Kohle“ für die Kohle

Dass „Kohle“ nun das Ende der Kohle besiegeln wird — ob hier im Rheinland, in Amerika, Australien oder anderswo — belegt auch eine gerade veröffentlichte Studie von Lazard, einer der weltgrößten Investmentbanken mit Sitz in New York. Geld regiert die Welt (Lazard verwaltete 2014 ein Vermögen von 189 Mrd. US-Dollar!) — und das legt sich, wie gesehen, ja gerade ziemlich eindeutig fest. Das Ergebnis von Lazards Benchmark-Studie: Schon jetzt ist oftmals der Weiterbetrieb bestehender konventioneller Kraftwerke teurer als der Neubau und anschließende Betrieb regenerativer Energieträger: “The full-lifecycle costs of building and operating renewables-based projects have dropped below the operating costs alone of conventional generation technologies such as coal or nuclear.” Wer wird da also noch ernsthaft investieren wollen?

Also: keine „Kohle“ mehr für Kohle.

Coal is dead.