Wenn dein Kind dich morgen fragt

Eine gute Freundin freut auf ihr erstes Enkelkind. Als wir ihr von unsern Kindern erzählen und berichten, dass unser Sohn mit Extinction Rebellion gerade eine Brücke in Hamburg blockiert, meint sie: „Irgendwann ist aber auch mal gut.“

Zusammen mit einem mir nahen Menschen fahre ich durch meine alten Heimat – einer besonders stark vom der Klimakatastrophe betroffenen Mittelgebirgsregion. Kilometerweit nichts als tote und abgeholzte Wälder. Auf meine Frage, was dieser Anblick mit ihm mache, schaut er mich verständnislos an: „Die Fichten sind nicht robust genug, die hätte man hier gar nicht anpflanzen dürfen, da müssen jetzt die passenden Bäume hin“.

Die Freundin mit dem Enkelkind hat seit vielen Jahren gesundheitliche Probleme, die immer wieder verschiedene Operationen nötig machen. Sie konsultiert daher regelmäßig Fachärzte, diese führen dann aktuelle Diagnosen durch und schlagen die erforderliche Behandlung vor. Auf dieser Grundlage trifft sie selber dann eine Entscheidung. Seit nun zwanzig Jahren weiß sie, dass es „auch mal gut“ wird, wenn sie Prozesse nicht einfach laufen lässt, sondern auf ihre Ärzte hört und interveniert.

Der nahe Mensch aus der alten Heimat hatte von einigen Jahren einen sogenannten „Burn-Out“. Er hat die Situation richtig verstanden und sich auf Anraten seines Arztes umgehend in eine Fachklinik begeben. Er hat kämpfen müssen, aber inzwischen wieder den Weg zurück in einen stabilen Alltag gefunden. Auch er weiß seitdem, dass ein Nicht-Eingreifen in gefährlichen Situation das Leben an den Rand des Abgrundes führen kann.

Eingreifen

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In allen Bedrohungsituationen, denen wir in unserem Leben gegenüber stehen, ist das doch unser erlerntes Muster: wir nehmen wahr, wie schlimm es gerade um uns steht – und leiten nach einem ersten Schockmoment die entsprechenden Schritte ein, um diese Situation zu ändern und zu verbessern.

Warum ist das bei der globalen Bedrohung durch den Klimawandel, dessen Auswirkungen wir zudem schon erleben und daher nicht mehr leugnen können, so komplett anders? Die Fach-„Ärzte“, die Klimaforscher, sagen uns: „Das ist die letzte Chance, noch einzugreifen, danach ist es vorbei und und die einmal angestoßenen Prozesse sind nicht mehr zu stoppen. Deine Kinder werden ein stark eingeschränktes Leben führen müssen, wenn wir nicht eingreifen ist es nicht unwahrscheinlich, dass sie das nicht überleben werden“. In jedem anderen Lebensbereich – hätten wir also zum Beispiel mit diesen Worten eine Krebsdiagnose für unser Kind erhalten – würden wir jetzt nach einem ersten Moment der Lähmung für unsere Kinder Himmel und Hölle in Bewegung setzten – aber hier verschließen wir einfach die Augen. Und dabei meine ich ausdrücklich nicht die beiden lieben Menschen, die ich oben exemplarisch erwähnt habe, sondern tatsächlich uns alle.

Deine Entscheidung

Nehmen wir einmal an, die Schulklasse unserer Kinder möchte zu einer Klassenfahrt aufbrechen. Der Reisebus wäre zuvor von 100 Technikern untersucht worden, nehmen wir auch einfach mal an, dass das so üblich wäre. Aber die Fachleute hätten jetzt eine schockierende Nachricht für uns: 99 von den 100 Prüfern sagen uns, dass der Bus in einem so schlechten Zustand ist, dass unsere Kinder darin mit Sicherheit verunglücken werden. (Bei ungefähr 99% liegt übrigens der Konsens in der Klimawissenschaft darüber, was unsere Kinder in den nächsten Jahrzehnten auf dem von uns zerstörten Planeten erwartet). Wir würden die Abfahrt mit allen Mitteln verhindern. Die 99 % Gewissheit bräuchten wir nicht, wir würden auch schon bei 40 oder 30 Prozent eingreifen. Niemals ließen wir unsere Kinder in eine solche Gefahr. Und wenn wir uns vor dem Bus auf die Straße legen müssten.

„Ich sage ihnen, dass wir unsere Kinder in einen globalen Schulbus hineinschieben, der mit 98-prozentiger Wahrscheinlichkeit tödlich verunglückt.“

Prof. Hans Joachim Schellnhuber – Gründer und Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung PIK

Was sagen wir unseren Kindern wenn sie uns später fragen werden, warum wir gerade das nicht getan haben? Warum uns der Aufreger über geschönte Lebensläufe wichtiger war als ihre eigene Zukunft? Warum wir lieber zuhause gesessen haben, anstatt den „Bus“ anzuhalten. Warum wir uns denen nicht in den Weg gestellt haben, die mit krimineller Energie ihr Recht auf eine gute Zukunft bekämpft haben. Warum wir stattdessen lieber auf deren Propaganda reinfielen, weil diese uns das Leben so behaglich leicht machte?

Wenn dein Kind dich morgen fragt: Wir sollten uns schon einmal eine Antwort überlegen. Oder heute anfangen, so zu handeln, dass sie uns einmal sagen können: „Danke, dass du uns nicht alleine gelassen hast – wir haben das zusammen geschafft.“

„We are willing to accept a lie, just so that we could sleep at night.
But once you close your eyes, ist not just the things that you don’t want to see that you miss.
It’s everything.“

Hilde Lisko in „Home before dark“. Apple TV+
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