Der zehnte Mann – Apocalypse im Elektroauto

Los Angeles, Mitte November. Es ist wieder soweit. Die Tesla-Gemeinde hat sich eingefunden und erwartet die Vorstellung eines neues Models, nämlich die des lange angekündigten Elektro-LKWs. Elon Musk lenkt den eindrucksvollen Truck auf die Bühne -und dann folgt eine Show in bester Apple-Manier. Nebenbei lässt er gleich auch noch — „one more thing“ — ein neues Roadster-Modell von der Ladefläche rollen.

An visionären Ideen und deren mutiger Umsetzung mangelt es Elon Musk ja bekanntlich nicht: ein Raketenprogramm mit dem Ziel der Marsbesiedlung, Tunnel unter den Städten, wenn es „oben“ zu eng wird, Solarziegel auf dem Dach und Power-Walls im Keller, ein Oberklassen-Auto mit Batterieantrieb statt Verbrennungsmotor, und das zu einer Zeit, als die komplette Branche die Reichweite der gängigen Batterien für viel zu gering hielt. Das ist eindrucksvoll, visionär, großartig.

Der erste Roadster, den Tesla von 2008 bis 2012 baute, war eine Revolution: das erste voll-elektrische Auto mit Lithium-Ionen-Batterie, mit einer Reichweite von über 300 km. Ebenso das Model S, das ab 2012 folgte. Wer sich in der Schnittmenge aus Technikbegeisterung, Umweltbewusstsein und gut gefülltem Bankkonto bewegte, hatte auf einmal keinen Grund mehr, nicht auf Elektro -Mobilität umzusteigen. Und nun rollt gerade — allerdings mit erheblichen Anlaufschwierigkeiten — das Model 3 vom Band. Damit hat Tesla dann auch den Massenmarkt im Visier und spätestens jetzt ist die Branche aufgeschreckt.

Erstarrter Aufbruch

Aber kann es sein, dass sich hier gerade etwas verändert?

Irgendetwas Seltsames passiert doch da. Nun baut Tesla also bald einen e-Truck und dann einen neuen Roadster. Wenn der dann irgendwann — vielleicht ab 2022 — über die Straßen rollen wird, zusammen mit vielen Modellen anderer Hersteller, die bis dahin aufschließen werden, dann wird das so etwas wie ein Update auf eine 2.0-Version sein. Eigentlich genau das Gleiche, aber eben besser. Und ehrlich: viel besser. Eine kaum zu glaubende Beschleunigung, enorme Reichweite, sehr viel schnelleres Laden.

Aber immer noch geht es um das bekannte Prinzip: Motor raus, Batterie rein, es geht immer noch um Beschleunigungswerte, um PS, um Reichweiten — aber das sind alles Parameter, die eigentlich in die „alte“ automobile Welt gehören.

Das Alte also einfach nur ins Neue hinein verlängert ? Inzwischen sind wir jedoch viele Jahre weiter, selbst die „Alten“ der Branche stellen sich inzwischen auf eine komplett veränderte Mobilität ein, erneuern ihre Geschäftsmodelle und investieren in neue Mobilitätsformen.

Der „zehnte Mann“

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Schnitt.

In dem Film „World War Z“ mit Brad Pitt gibt es die Szene mit dem „zehnten Mann“. Irgendwo in einer versteckten Ecke Asiens ist ein Virus ausgebrochen, der die Menschen zu rasenden Bestien mutieren lässt. Ein Land nach dem anderen wird nun von den Zombies überrannt. (Originelle Filmidee, oder?) Nur Israel zeigt sich erstaunlich gut vorbereitet. Jerusalem wurde in kürzester Zeit zu einer bisher uneinnehmbaren Festung ausgebaut.

Wie war das möglich? Der israelische Agent erklärt dem von Brat Pitt gespielten UN-Wissenschaftler das Prinzip des „zehnten Mannes“: zu viele tiefgreifende und traumatische Erfahrungen mussten die Bewohner in der Vergangenheit erleben: Wer hätte den Anschlag auf das israelische Team bei den Olympischen Spielen 1972 oder den Yom-Kippur-Krieg ein Jahr später oder gar den Holocaust vorhersehen können?

Um mit solchen Ereignissen, die eigentlich unvorhersehbar sind, umgehen zu können, muss nun bei allen militärischen Entscheidungen ein sogenannter „zehnter Mann“ beteiligt sein.

Immer, wenn sich eine Gruppe von neun Experten, mit den gleichen Informationen ausgestattet, in der Bewertung einer Frage einig ist, dann ist es die Aufgabe des „zehnten Mannes“, diese grundsätzlich in Frage zu stellen und das Gegenteil zu beweisen, egal wie unwahrscheinlich das erscheinen mag.

So war also im Film die israelische Regierung in der Lage, sich rechtzeitig auf die heraufziehende Zombie-Apokalypse vorzubereiten, anders als andere Länder, die das natürlich für unmöglich hielten: „You build a wall, because you read a communicate, that mentions the word ‚Zombie’?“

Permanent Revolution

Und wieder: Szenenwechsel zurück.

So ähnlich stelle ich mir das vor: Der „zehnte Mann“, der immer mit am Tisch sitzt, vielleicht auch nur im Kopf herum spukt und nervt.

Bei Tesla, aber natürlich auch bei jedem anderen Unternehmen, das seinen Platz in zukünftigen Märkten sucht: „Sind das noch echte Innovationen, oder verbessern wir gerade nur.“ „Seid ihr sicher, dass in Zukunft die Frage, wie schnell der Wagen auf 100 km/h beschleunigt, überhaupt eine Rolle spielt?“ „Coole Autos reichen nicht, wir müssen in Plattformen denken.“ „Lasst uns ein intelligentes Netz mit unseren Produkten aufbauen.“ Und so weiter.

Der „zehnte Mann“ also, der Alarm schlägt, wenn über die Jahre hinweg eine radikale Innovation unbemerkt langsam im Tagesgeschäft verwässert.

Der warnt, wenn man einer Spur, auf der man sich befindet, zu lange einfach weiter folgt, ohne ständig das eigene Handeln infrage zu stellen.

Permanent Revolution eben.

Denn dann bleibt es richtig spannend.