Um uns herum kollabiert die Welt, wie wir sie kannten, und wir stehen ratlos daneben. Doch das muss nicht so sein. Nur: Was können wir tun?
Ein Exkurs mit ein paar Zwischenstationen: Eine Stadt – ein Film – ein Buch.
Und dann die entscheidende Frage: In welcher Welt wollen wir leben?
Ein Nachmittag in Prag
Ein Spätnachmittag im letzten Sommer. Ich bin in Prag. Per Zug aus dem Osten des Landes angereist, sind in Prag nun zwei freie Tage eingeplant, bevor es weiter gehen soll. Es ist einer dieser seltenen Sommertage, an denen es einmal regnet, und so liegen Museums- und Cafébesuch bereits hinter mir. Später am Tag stehe ich dann im Zentrum, genauer: vor einem der Prager Kinos. Jim Jarmuschs Film „The dead don’t die“ ist angekündigt. Eine Horrorkomödie, mit dem im Frühjahr die Filmfestspiele von Cannes eröffnet wurden — das macht mich neugierig, trotz der schnell recherchierten mäßigen Kritiken. Außerdem nun genug vom Prager Regen, also rein. Meine Erwartungen sind begrenzt, was aber dann für die nächsten zwei Stunden folgt, ist eine der gelungensten Metaphern für diese verrückte, aus den Fugen geratene Welt da draußen, die ich in letzter Zeit gesehen habe.
Der Film: Irgendwo in einer amerikanischen Kleinstadt mehren sich die Anzeichen, dass „irgendetwas“ nicht stimmt. Die Welt spielt verrückt. Den Grund erfährt man nur nebenbei, wenn zum Beispiel auf der Wache das Radio aus dem Off zu hören ist oder im Hintergrund in der Bar der Fernseher läuft: Durch Ölbohrungen in der Arktis wurde scheinbar die Erdachse verschoben. Wissenschaftler warnen, die Politik beruhigt — man kennt das.
Die Bewohner in dem kleinen Ort merken die Veränderungen zunächst daran, dass es plötzlich nicht mehr dunkel wird. Sie sitzen abends in der Kneipe und gehen irgendwann im Hellen nach Hause — „We live in crazy times“. Dann bricht das Handynetz zusammen und dann schließlich öffnen sich nachts die Gräber. Immer mehr Bewohner sterben, weil sie von den „Untoten“ heimgesucht werden. Der Sheriff (Bill Murray) ist mit der Situation völlig überfordert. Seinem Kollegen jedoch ist schnell klar: Das wird nicht gut enden.
Was mich an dem Film so fasziniert: Er thematisiert konsequent die menschliche Unfähigkeit, sich auf drastisch veränderte Situationen einzulassen und angemessen zu reagieren. Er findet dafür treffende Bilder und ist damit eine perfekte Metapher für die Klimakatastrophe und die ökologische Bedrohungen, die sich gerade vor unseren Augen entfalten.
In der für mich bedrückendsten Filmszene fordert die Bestatterin im Ort (Tilda Swinton) den Sheriff auf, endlich etwas zu unternehmen. Der nickt entschlossen, scheinbar hat er endlich verstanden, dass er nun Verantwortung übernehmen muss. „Und was werden Sie jetzt machen?“ „Was wir immer tun. Wir fahren Streife.” Und so fahren die beiden Polizisten durch das entfesselte Chaos und die von Zombies gefüllten Straßen. Überall erkennen sie ihre alten Mitbürger: „Ach schau mal da. Der alte Bob. Hat’s den jetzt auch erwischt. Hab’ ihn echt gemocht, war ein netter Kerl.”
Wir fahren Streife.
Was für ein Bild und wie treffend die Analogien. Auch um uns herum kollabiert die Welt, wie wir sie kannten, und weil wir nicht wissen, wie wir reagieren sollen, verstärken wir einfach das, was wir immer schon gemacht haben. Das halten wir für die angemessene Reaktion. Wir „fahren Streife“ wie eh und je — haben wir schon immer gemacht, kann ja nicht falsch sein.
Wir lassen in der Bar die Nachrichten im Hintergrund laufen, hören vom abschmelzenden Grönlandeis, vom Bienensterben, von Rekordtemperaturen, von Dürren und Hitzerekorden, Waldbränden und Stürmen — und dann gehen wir nach Hause und versuchen, in der hellen Nacht zu schlafen. Wir fliegen wie Getriebene um die Welt, reihen Fernreise an Fernreise und sind dann noch stolz, wenn wir die Tickets auf dem Handy speichern statt sie auszudrucken. „Wir sollen ja nicht mehr so viel Papier verbrauchen“ — das habe ich wörtlich so in meinem Bekanntenkreis erlebt.
Und während wir auf Streife durch die Straßen unserer Stadt unterwegs sind, stellen wir fest, dass es nun einen nach dem anderen erwischt hat, der uns lieb war. Jeden Tag hunderte Spezies weniger, die wir unwiederbringlich ausgerottet haben, immer weniger Regenwald, der sich vielleicht nicht mehr erholen kann, schmelzende Gletscher, die nun anfangen, unsere Küsten zu überfluten. Wir merken, wie unsere Welt stumm geworden ist, weil es auch immer weniger Vögel und Insekten gibt. Tja, der alte Bob, war so ein netter Kerl. „We live in crazy times“.
In welcher Welt wollen wir leben?
Die Erinnerung an dieses Erlebnis in dem Prager Kino im letzten Sommer, an dieses in Filmszenen übersetzte Abbild unserer aus den Fugen geratenen, „verschobenen“ Welt, wurde bei mir angestoßen, als ich vor einigen Wochen das neue Buch von Christiana Figueres und Tom Rivett-Carnac in der Hand hielt: „The Future We Choose. Surviving the Climate Crisis.“ Meiner Meinung nach eines der wichtigsten Bücher zum Thema. Absolute Pflichtlektüre!
Warum? Weil dieses Buch genau den gegensätzlichen Weg wählt. Es zeigt auf, wie man aus dem einfachen und tumben Feststellen der „crazy times“, des „this is all gonna end badly“ herauskommt. Und zwar gerade, weil man die Situation überblickt und die volle Bedrohung wahrnimmt, aber eben dort nicht stehen bleibt.
„All studies you read about the Anthropocene epoch point to the unprecedented levels of destruction that we have caused in just five decades. The underlying assumption is that we have irretrievably cast our die and that increasing destruction will be the leitmotif of the entire era.
We take a radically different view. Devastation is a growing possibility but not yet our inevitable fate, the full story has not been written. We still hold the pen. But we have to choose.
Was das Buch grundlegend richtig macht: Es entwirft eine positive Gegenversion, ein klares und realistisches Gegenbild. Es macht klar, dass wir nicht weiter hilflos beobachtend „auf Streife“ durch unsere immer bedrohtere und bedrohlichere Welt unterwegs sein müssen und nur noch zusehen können, wie Tod und Zerstörung um sich greifen. Die Welt morgen ist die Folge von Entscheidungen heute — und wir können die richtigen Entscheidungen treffen. Vor allem aber können wir dem einfachen „Weiter-So“, dem altem Denken und alten Strukturen „den Gehorsam verweigern“, und zwar massenhaft und entschieden.
We cannot turn back the clock on past emissions. However, even at this late stage, we can strive for and achieve a better world in which nature and the human family will not only survive but thrive together.
We have to wake up to the fact that we can choose our future and collectively create it. Our collective responsibility is to ensure that a better future is not only possible but probable, and then not only probable but foreseeable.
Zurück zum Film. Als genialen Twist empfinde ich, dass die Zombies sich an das halten, was sie schon immer getan haben: Kaffee und Wein trinken, Tennis spielen oder mit dem Handy ein WLAN-Netz suchen. Das machen unsere echten „Zombies“ da draußen doch auch: Zum Beispiel wie schon vor Jahrhunderten Kohle aus der Erde ausgraben und diese dann verbrennen, damit es schön warm wird, oder wie Höhlenmenschen Tiere töten und essen. Es wird Zeit, dass all die „Haben-wir-immer-schon-so-gemacht“-Zombies mal wieder in ihre Gräber verschwinden, den Deckel schließen und Ruhe halten.
Für uns dagegen gibt es jetzt viel zu tun.
Sleep well, Zombie.