„Do you still believe in all the things that you stood by before?
Rise Against – Architects
Are you up there on the front lines, or at home keeping score?
Do you care to be the layer of the bricks that seal your fate?
Or would you rather be the architect of what we might create?“
Der Angriff des Alten auf das Morgen, das längst begonnen hat
„The world is at a crossroads.The social and political systems that have lifted millions out or poverty and shaped our national and global policies for half a century are failing us. The economic benefits are harming the natural environment and vulnerable populations.
Klaus Schwab – “Shaping The Fourth Industrial Revolution”
There has never been a time of greater promise, or one of greater potential peril.
So leitet Klaus Schwab, der Gründer des Weltwirtschaftsforums in Davos, sein aktuelles Buch „Shaping The Fourth Industrial Revolution“ ein.
Die Welt am Scheideweg. Schaut man sich um, dann sind die vor uns liegenden Aufgaben tatsächlich enorm: Die Art unseres Wirtschaftens muss grundlegend und vor allem sehr schnell geändert werden, um nicht unsere eigenen Lebensgrundlagen zu zerstören. Es gilt eine dramatische soziale Krise zu lösen und die wachsende Ungleichheit zu bekämpfen. Und wir müssen uns auf eine völlig neue Art des Arbeitens und Lebens einstellen als Folge der radikalen Veränderungen, die die technologische Entwicklungen mit sich bringen.
Jetzt sollte also die Zeit sein für bewusste Weichenstellungen in Wirtschaft und Politik. Aber genau die bleiben so oft aus. In der Politik fast immer und viel zu oft auch in den wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen. Die Beharrungskräfte sind mächtig, und so lässt man dann einen auf 12 Billionen Dollar geschätzten Markt einfach mal liegen, um lieber sein gewohntes Ding zu machen.
„Die Macht der Beharrung gegen die Notwendigkeit der Veränderungen”, nennt das Georg Diez in einer sehr lesenswerten Kolumne auf Spiegel Online, den “Angriff des Alten auf ein Morgen, das längst begonnen hat, eine Zukunft, die unser Leben und unsere Welt längst bestimmt, ob wir es wollen oder wahrhaben wollen oder nicht.“
Ein historischer Paradigmenwechsel
Was passiert, wenn man an alten Denkmustern festhält, zeigt ein Blick in die Geschichte. Neben dem Vergleich mit der Industriellen Revolution wird als Bild für die Umwälzungen, die wir gerade erleben, gerne die sogenannte “Kopernikanische Wende” genannt.
Es war Nikolaus Kopernikus, der vor rund 500 Jahren ein komplettes Weltbild revolutionierte. Er stellte die Sonne ins Zentrum seines astronomischen Modells, nicht mehr die Erde. Damit drehte er das vorherrschende geozentrische System mit der Erde als Mittelpunkt des Universums komplett um. Ein echter Paradigmenwechsel, eine echte Revolution.
Aber der Mann, an den man in diesem Zusammenhang erinnern sollte, ist gar nicht Kopernikus selber, sondern Tycho Brahe. Er wurde rund 70 Jahre nach Kopernikus geboren, war ein Zeitgenosse von Galileo Galilei und gilt als einer der bedeutendsten Astronomen seiner Zeit.
Anders als Galilei, der seine Forschungen auf dem neuen Kopernikanischen Weltbild aufbaute, ging Brahe einen anderen Weg. Er versuchte, die sich widersprechenden Ideen aus altem und neuem Weltbild konsequent miteinander zu verbinden.
In seinem System behielt die Erde weiterhin die zentrale Rolle, die Kernelemente des neuen Modells von Kopernikus passte er in das alte Modell ein: Um die Erde kreisen weiterhin Mond und Sonne. Aber alle anderen Himmelskörper bewegen sich wie bei Kopernikus um die Sonne. Brahe sah es als seine Lebensaufgabe an, dieses Weltsystem mit immer genaueren Beobachtungen zu belegen.
Alt und Neu — in perfekter Kombination. Es lohnt sich, diese Konstruktion einmal genauer zu betrachten und zu verstehen, was da passiert.
Keine Übergangsszenarien in Umbruchsituationen
Schaut man zurück, ist es verwunderlich, welche Verrenkungen Brahe anstellte, um mit Nachdruck das alte, überholte Weltmodell zu erhalten. Die neue Wirklichkeit wurde wahrgenommen, aber sie hatte sich unbedingt in das alte Paradigma einzupassen.
Man kann schon fragen, ob wir uns gerade in einer guten Nachfolge Brahes befinden: Einfach die neuen Anforderungen, die uns ja nicht so ganz verborgen bleiben, nehmen und sie mit riesigem Aufwand und auch nur soweit das passt, in unsere obsoleten Geschäftsmodelle und politischen Agenden einbauen.
Wir können also den letzten Kolben im Verbrennungsmotor optimieren, den Diesel subventionieren, teure und unflexible Kraftwerke als „Reserve“ weiterbetreiben und fröhlich unsere Vergangenheit restaurieren — während anderswo die Zukunft längst begonnen hat.
Aber dann wird es uns auch so gehen wie Tycho Brahe: Man bekommt bald seinen Platz in der Geschichte zugewiesen und wird recht schnell vergessen.
Die Zukunft gestalten dann andere.
“I can’t understand why people are frightened of new ideas. I’m frightened of the old ones.“
John Cage