Heute ist „Ökumenischer Tag der Schöpfung“. 2010 von der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Deutschland eingeführt, geht die Initiative auf den Beginn der 1990er Jahre zurück.
In diesen 30 Jahren haben wir die Schöpfung grundlegend verändert. Wir haben es zugelassen, dass eine recht kleine Gruppe von Menschen, denen genau bewusst war, was sie da taten, diese Schöpfung so stark zerstört haben, dass sie kaum wiederzuerkennend ist.
Wie gehen wir damit um – und was folgt daraus?
Eine theologische Annäherung.
Die leere Arche
Ich bin ein Gast auf Erden, versuch mich dann und wann
(Gerhard Schöne – Gast auf Erden)
als Hausherr zu gebärden, der alles machen kann.
Dann sterben Wälder, Meere, dann bleibt kein Lüftchen rein,
dann gehen ganze Heere von andern Gästen ein.
In der christlichen Erzähltradition gibt es die Geschichte von Noah und der Arche. Zwei Tiere einer jeden Art, ein Männchen und ein Weibchen, werden in der Arche vor einer globalen Katastrophe gerettet und sichern das Überleben.
Stellen wir uns für einen Moment vor, in diesen je zwei Tieren seinen alle Tiere dieser Art repräsentiert. Wir könnten also über die beiden Repräsentanten in den kompletten Bestand hinein schauen (Vielleicht so wie in den gängigen Foto-Apps auf unseren Handys, wo sich hinter der Kachel für das Jahr die Bilder für die jeweiligen Monate befinden, und hinter diesen wieder die einzelnen Fotos , Dutzende, Hunderte, Tausende). Würden wir das Bild also ganz aufziehen, von den beiden Repräsentanten hinein in den kompletten Bestand, dann sähe es heute so aus: Von der „Besatzung“, die im Jahr 1970 (vor fünfzig Jahren – das ist bis heute in etwa meine eigene Lebensspanne) noch auf der Arche lebte, hat es nur ein Drittel in das Jahr 2020 geschafft. Die restlichen 70% unserer „Biomasse“haben wir in den letzten 50 Jahren ausgerottet.
Die Arche ist leer geworden.
Das ist unsere „Schöpfung“ heute. Wir sind dabei, sie mit einer atemberaubenden Radikalität zu zerstören. Dieses sogenannte „Artensterben“, das „Massaker“ auf der Arche, der „biodiversity loss“, ist die hinter der Klimakatastrophe lauernde noch größere Krise – und sie ist in vollem Gange.
Angesichts dieser Zahlen und der von uns angerichteten Zerstörung ist die Botschaft dieses Tages eine Besondere. Hierzu haben wir uns und hat eine Kirche, die ihren Schöpfungsauftrag ernst nimmt, zu positionieren. Eine Haltung einzunehmen, Widerspruch zu formulieren, und dabei die Verursacher zu adressieren. Sonst können wir das mit dem Schöpfungsgedanken auch gleich lassen.
„Die Berufung, Beschützer des Werkes Gottes (= Welt, Schöpfung) zu sein, praktisch umzusetzen gehört wesentlich zu einem tugendhaften Leben; sie ist nicht etwas Fakultatives, noch ein sekundärer Aspekt der christlichen Erfahrung.“
Papst Franziskus – „Laudatio Si“ – ÜBER DIE SORGE FÜR DAS GEMEINSAME HAUS)
Dem Rad in die Speichen fallen
An dieser Stelle müssen wir einen Blick in die Vergangenheit werfen, in die dunklen Jahre des letzten Jahrhunderts.
Kurz nach der sog. Machtergreifung Hitlers 1933 hat der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) formuliert, wie die Rolle der Kirche gegenüber dem (ungerechten) Staat zu bestimmen sei.
Bonhoefferwar einer der führenden Köpfe der „Bekennenden Kirche“, die sich gegen die nationalsozialistische Einflussnahme auf die Kirche stellte. Sein Glaube und seine Theologie brachten ihn schließlich in Kontakt mit dem politischen Widerstand. Nach dem Attentat auf Hitler 1944 wurde Bonhoeffer verhaftet und inhaftiert und schließlich 1945, noch wenige Wochen vor Kriegsende, von den Nationalsozialisten hingerichtet.
1933 also – Geschäfte von Juden wurden bereits boykottiert und jüdische Beamte aus dem Staatsdienst ausgeschlossen – formulierte er drei Aufgaben der Kirche:
1933 also – Geschäfte von Juden wurden bereits boykottiert und jüdische Beamte aus dem Staatsdienst ausgeschlossen – formulierte er drei Aufgaben der Kirche:
1.) Widerspruch gegen den Staat in den Fällen, in denen dieser seiner Verantwortung nicht gerecht wird
2.) Beistand für die Opfer staatlichen Fehlverhaltens.
Und schließlich:
3): Werden Verletzungen von Recht und Ordnung im staatlichen Handeln zu einem dauerhaften Kennzeichen, besteht die Aufgabe der Kirche darin
… nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen.
Solches Handeln wäre unmittelbar politisches Handeln der Kirche und ist nur dann möglich und gefordert, wenn die Kirche den Staat in seiner Recht und Ordnung schaffenden Funktion versagen sieht.“
Dietrich Bonhoeffer, Werke Bd. 12 – Berlin 1932-1933, hg. von Carsten Nicolaisen und Ernst-Albert Scharffenorth, München und Gütersloh 2015, S.353 f.
Wo ist „meine“ Kirche heute? Angesichts dieser gezielten Zerstörung der Schöpfung und der umfassenden Vernichtung von Leben. Wo ist das Bonhoeffersche „an die Verantwortung des Staates appellieren“, und wo das „Eintreten für die Opfer“ (aka Jungend, künftige Generationen, globaler Süden).
Ja, mir ist bewusst, dass hier die Gefahr besteht, politisches und wirtschaftliches System zu vermengen. Aber: faktisch ist das längst kaum noch zu trennen, und schließlich ist auch ein zutiefst ungerechtes und zerstörerisches Wirtschaftssystem mit dem gleichen Kriterien zu adressieren.
Und schließlich: Wann ist der Punkt erreicht, den Bonhoeffer als dritte Position nennt: dem Rad in die Speichen zu fallen. Wie nahe ist diese Forderung dran an den jungen Menschen, die verzweifelt um ihre Zukunft kämpfen, die Straßen blockieren, Tagebaue besetzten. Warum steht denen bisher kaum jemand aus dem (offiziellen) kirchlichen Raum bei?
Der Lernraum
Große Teile der offiziellen Kirche sind damals dieses „Mahnen“ und den Widerstand schuldig geblieben. Wichtig dabei: Das heute so zu formulieren, muss frei von jeder Verurteilung sein. Unmittelbar nach Ende des zweiten Weltkriegs (und wenige Monate nach der Hinrichtung Bonhoeffers) arbeitete die Synode der evangelischen Kirche in Deutschland dieses „schuldig bleiben“ im sogenannten „Stuttgarter Schuldbekenntnis“ auf. Es ist eines der zentralen kirchengeschichtlichen Dokumente des 20. Jahrhunderts.
„Wir klagen uns an, daß wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“
„Wir haben es zu lange unterlassen, für das Leben der Völker einzutreten und für das Recht aller Menschen auf Leben und Entfaltung ihrer Persönlichkeit zu kämpfen.“
Evangelische Kirche in Deutschland – Stuttgarter Schuldbekenntnis (Abschnitt 1 und 3)
Eintreten für die Schöpfung, für die Bewahrung der Schöpfung ist heute immer (auch) politisch. Und: sie ist systemisch zu denken und formulieren, und darf sich nicht auf individuelle Ansprache (wie sonst üblich) oder Mahnung zu kollektiver Verhaltensänderung beschränken.
Wer diese politische Dimension im christlichen Glauben nicht mitdenkt, müsste dann auch wichtige und durchaus zentrale Teile aus seiner Bibel entfernen (Schöpfungserzählung, Exoduserfahrung, das Trauma der Babylonische Gefangenschaft, politische Prophetie im Alten Testament; Bergpredigt, Offenbarungstexte etc.)
Wollen wir denn wirklich in einigen Jahren wieder da stehen und rückblickend sagen müssen, dass wir nicht „mutiger bekannt, fröhlicher geglaubt und brennender geliebt haben“?
Schluss
2018, bei dem ersten großen gesellschaftlichen Konflikt in Deutschland im Kontext der Klimakrise, wurde von der nordrheinwestfälischen Landesregierung der von Klimaaktivisten besetzte Hambacher Wald – er liegt nur wenige Kilometer von meinem Wohnort entfernt – unter einem Vorwand geräumt, um dem Energiekonzern RWE die Rodung des Waldes und damit den Vortrieb des Tagebaus zu ermöglichen, denn erst dann konnten die darunter lagernden Kohlevorräte erschlossen werden. Es war der größte und – inzwischen gerichtlich festgestellt – illegale Polizeieinsatz des Landes mit mehreren tausenden Polizisten, die meist mit völlig überzogener Gewalt gegen überwiegend junge Menschen vorgingen, die sich hier exemplarisch gegen die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen wehrten.
Die ersten Menschen, die am Waldeingang von der Polizei aus dem Weg geräumt wurden, waren fünf Gemeindeglieder einer benachbarten Kirchengemeinde zusammen mit ihrem Pfarrer, die sich schützend vor die jungen Menschen stellten, oder besser: von den anrückenden Polizeimassen auf den Waldweg setzten.
Könnte das so aussehen, das „mutig bekennen“ und „brennend lieben“? Wie sieht für uns Ältere dieses „In den Weg stellen“ aus, das „vor unsere Kinder oder Enkelkinder stellen“? . Werden wir uns in einigen Jahren fragen, warum wir uns – angesichts dieses gezielten Anschlags auf deren Zukunft – nicht längst damit begonnen haben, den Zerstörern zu widersprechen und ihnen in die Speichen zu fallen. Und zwar schon dann, wenn es noch unbequem und herausfordernd ist, nicht erst, wenn wir das bequem in unser Leben integrieren können und uns dann toll fühlen.
Wann ist für uns dieser Zeitpunkt erreicht, wie sieht es aus und wann beginnt unser „brennender lieben“?
Es gibt so viel, für das sich genau dieses lohnt.
Ich bin ein Gast auf Erden. Ich weiß, es muss so viel
(Gerhard Schöne – Gast auf Erden)
bis morgen anders werden und ferne liegt das Ziel.
Wills mit in Ordnung bringen, will stillen manches Weh,
mein schönstes Danklied singen, bevor ich von ihr geh.