Shut up, Siri !

Die Technik-Szene feiert gerade im Netz ein Video, das Apples neuen Home-Pod bewirbt. Ein „Masterpiece“, „a jaw-dropping short film“, „a stunning piece“, „one of the most remarkable ads of the year so far“ — jubelt die AdWeek. Vor drei Wochen veröffentlicht und schon jetzt rund 8 Millionen Aufrufe auf YouTube. Selbst das Making-Of Video wird als „the most engaging, comprehensive and flat-out best behind-the-scenes video we’ve seen for an advertisement“ gelobt.

Liebe Leute — tut mir leid: ich finde es absolut fürchterlich. Entlarvend, tragisch, tief traurig. Wie ein Konzentrat von allem, was in unserer Facebook — Siri — Alexa — Welt gerade falsch läuft.

„Siri, Play Something I’d Like“

Am Anfang eine junge Frau in einer überfüllten U-Bahn, umgeben von einer grauen, anonymen Menschenmenge, den Blick teilnahmslos auf den Boden gerichtet. Später dann Regen, Lärm, Hektik. Keiner redet mit dem anderen — eine Welt in Grau. Die gleiche gesichtslose Masse im Aufzug zur Wohnung , kaum kann sie sich den Weg nach draußen bahnen. Mit leerem Blick sitzt sie schließlich auf dem Sofa in ihrem kleinen Apartment. Alleine, verloren, benommen. Der einzige Gesprächspartner: Siri. „Siri, spiel mir etwas, das mir gefällt“. Für diese Entscheidung ist ein Algorithmus zuständig. Und siehe da: Jetzt passiert etwas und auf einmal öffnet sich die Welt, wird weit und bunt. Wie schön!

Ich frage mich, ob denn niemand merkt, wie schrecklich die Botschaft des Films in Wahrheit ist. Das Entscheidende zeigt sich am Anfang: eine Welt, so düster gezeichnet, dass sie auch aus “Blade Runner” stammen könnte. In der Zurückgezogenheit der Wohnung — “Welcome Home” — holt einen die Technik auf wundersame Weise aus dieser Welt heraus. Wie ein Drogentrip.
„Es gibt kein richtiges Leben im Falschen?” Na, scheinbar doch — Siri macht’s möglich. Sie startet den richtigen Song für mich— und schon wird das Leben groß. So sediert lässt sich dann die graue und enge Welt ertragen.

Und was bleibt, wenn diese Illusion, dieser Traum vorüber ist? Da findet man sich noch genau da, wo man vorher war, alles ist wieder auf das alte Maß geschrumpft, nur jetzt kann man das scheinbar verdrängen und selig lächelnd auf dem Sofa liegen. Und am nächsten Morgen geht es dann wieder hinaus in den engen Aufzug, die überfüllte Bahn, die graue anonyme Welt, den zermürbenden Beruf. Und abends wird man wieder wie ein Zombie nach Hause taumeln und dort baut einen Siri wieder auf und öffnet ihre bunte Welt. Oh weh!

Aufhören, einverstanden zu sein

Image by svklimkin from Pixabay 

Wenn ich mich so durch mein Leben schleppe, dann heißt die Lösung eben gerade nicht “Siri”. Sondern so etwas Altmodisches wie Protest, Aufstand, (An-)Klage, Widerstand. Dann geht es nicht um Träumerei oder Verdrängung, sondern um das Erobern von Handlungsspielräumen, die schrittweise Wiedererlangung von Souveränität und Selbst-Bestimmtheit. Andernfalls mauert man sich nach und nach in seine eigene Unmündigkeit ein. Schlimmer noch: Man rührt den Mörtel zur Zementierung der bestehenden Verhältnisse — das ist Aufklärung im Rückwärtsgang. Und Stück für Stück schließt sich die Tür, durch die man in ein selbstbestimmtes Leben gelangen könnte.

„Hören Sie auf, einverstanden zu sein.“ — „Leisten Sie Widerstand, sobald Sie nicht einverstanden sind.“ So lautet die zentrale Aussage der „12 Regeln für erfolgreichen Widerstand“ aus dem Buch „Selbst Denken“ des Soziologen Harald Welzer. Darum geht es. Und nicht um bunte Alternativwelten. Hören Sie auf, einverstanden zu sein!

Denn: In unserer Welt läuft gerade Vieles falschGrundlegend falsch und vor allem: gefährlich falsch. Da reicht es nicht, gegen den Bürowahnsinn anzumeditieren, mit Opioiden die Perspektivlosigkeit zu betäuben oder eben — wie im Video — den hoffnungslosen Alltag bunt anzumalen.

Da geht es um einen Bewusstseinswandel, einen Change of Mind und um die Zerschlagung von Strukturen: Hören Sie auf, einverstanden zu sein und leisten Sie Widerstand, sobald Sie nicht einverstanden sind. Wie man das macht, zeigen uns gerade die Jugendlichen in Amerika, die gegen den Waffenwahnsinn in ihrer Gesellschaft auf die Straße gehen.

“I’m not going to stand back and just let evil win.” (Yvon Chouinard, Gründer von Patagonia)

Es ist schon komisch: Alle reden von Disruption und trotzdem verfallen wir im Beruf und im Privaten immer tiefer in eine Alltagshypnose, die letztlich den Status Quo immer weiter festigt. Kreative Zerstörung? Fehlanzeige.

Warum ist das so? Weil wir so langsam den Überblick verlieren? Weil wir es schlicht nicht merken — bis auf dieses Gefühl, dass eben doch irgendwas nicht stimmt, und das uns dann nach und nach krank macht? Weil uns die richtigen, Leben eröffnenden Bilder fehlen?

Richtige und falsche Bilder

Image by Free Photos from Pixabay 

Warum ich diesen Spot so schlimm finde? Wir brauchen ja Bilder. Unbedingt. Zielgerichtetes Handeln braucht immer eine Vorstellung, ein Bild — am besten ein richtig großes. Aber eben Bilder, die uns nicht wie in einen Kokon einwickeln, handlungsunfähig und abhängig machen, sondern Bilder von einer guten Zukunft. Visionen. Utopien.

Der quietsche-bunte Traum aus dem Apple-Video steht für das genaue Gegenteil. Er hat keinerlei Veränderungspotenzial, keine transformative Kraft. Er lullt ein und macht in letzter Konsequenz handlungsunfähig, weil er nicht mehr als eine Schein-Welt erschafft, statt die echte Welt zu verändern. Er zieht nicht nach vorne, sondern hält am Alten fest. Und er steht stellvertretend für das, was unsere schöne neue Technik-Welt mit uns macht, wenn wir nicht aufpassen. Im Privaten — aber eben auch im Politischen und Gesellschaftlichen.

Zum Schluss erlaube ich mir noch eine weitere persönliche Anmerkung — wer damit ein Problem hat, überspringt den Absatz einfach: Ich finde es spannend, dass dieser Spot gerade in die Osterzeit fällt. Für mich jedenfalls ist Ostern das letzte, das größte, das absolute Bild. Ein Bild für den ultimativen „Auf-Stand“, ein Auf(er)stehen gegen alles, was lähmt und tötet, die Revolution des Lebens gegen den Tod. Ein stärkeres Bild kann ich mir nicht vorstellen. „Es muss nichts bleiben, wie es ist“ — das ist der komplette Gegenentwurf gegen eine Siri-Welt, die nach dem ganzen Farbenzauber alles beim Alten lässt.

Denn in dieser Welt bleibt dann nur noch das Sofa.

Hinlegen. Alles ist gut. Stur lächeln und winken.